Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
Von ROMANUS OTTE
Mit LAURA HÜLSEMANN und TOM SCHMIDTGEN
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TOP-THEMEN |
— Deutschland, Italien und Frankreich wollen EU-Regulatorik zurücknehmen. Im Fokus könnten das Verbrennerverbot 2035 und die Flottengrenzwerte stehen.
— Der Bund will der Bundeswehr Sonderrechte einräumen, um Rüstungsgüter schneller zu beschaffen. POLITICO hat den Gesetzentwurf .
— Die Industrie fordert, den Rohstofffonds aufzustocken. Uns liegt das Vorschlagspapier vor, das der BDI an Reiche geschickt hat.
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THEMA DES TAGES |
DIE DREI VON DER TANKSTELLE: Italien, Frankreich und Deutschland arbeiten an einem gemeinsamen Vorstoß zur Unterstützung der europäischen Autobauer. Dabei gehe es nicht um Zölle, sondern um Umweltfragen, erfuhren meine Kollegen Jordyn Dahl und Hans von der Burchard.
Old Green Deal: Im Fokus stehen die EU-Beschlüsse zum Industrial Clean Deal mit dem Verbrenner-Aus ab 2035 und den Flottengrenzwerten beim CO2-Ausstoß.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sagte in Rom, sie verhandle mit Friedrich Merz und Emmanuel Macron über eine „gemeinsame Linie“ für den Autosektor, berichtet meine Kollegin Jordyn Dahl.
New Green Deal: Meloni nannte keine Details. Sie sagte aber, die „surrealsten Aspekte“ des Green Deal müssten rückgängig gemacht werden.
In Paris hörte meine Kollegin Clea Caulcutt, die Initiative ziele darauf ab, Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Autosektors zu vermeiden: Ein Schwerpunkt seien die Ziele bei der Dekarbonisierung.
Heimische Interessen: Aus Deutschland hatte zuletzt der Branchenverband VDA einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Eine Forderung: Das Ziel von Null-Emissionen am Auspuff 2035 zu verschieben und Verbrenner-Motoren mit E-Fuels weiter zuzulassen.
Reise nach Rom: Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas sprach am Freitag in Rom erstmals mit Italiens Industrieminister Adolfo Urso. Der plädierte dafür, neben E-Fuels auch Biotreibstoffe als Kraftstoff-Quelle anzuerkennen.
Dem deutschen Umweltministerium lagen zu einem Dreier-Vorstoß zum Wochenende noch keine Informationen vor, hörte Laura Hülsemann. Das Wirtschaftsministerium ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Rückblick: Seit Beginn der Verhandlungen über das Verbrenner-Verbot im Jahr 2023 hatten Italien und Deutschland Änderungen gefordert.
Berlin setzte Ausnahmen für E-Fuels durch — also synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis. Italien blieb mit seiner Forderung nach ähnlichen Regelungen für Biokraftstoffe allein.
Koalition uneins. Während Teile der Union dafür sind, Verbrenner nach 2035 zuzulassen, hält sich die SPD zurück. Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Julian Joswig forderte in einer kleinen Anfrage eine Stellungnahme der Bundesregierung ein. Laura Hülsemann liegt die Antwort vor.
Etwas im Busche: „Die Bundesregierung überprüft ihre Politik kontinuierlich“, schrieb Umweltstaatssekretär Carsten Träger darin.
Sie werde sich „zu gegebener Zeit im Zusammenhang mit der von der Europäischen Kommission angekündigten Überarbeitung der europäischen CO₂-Flottenregulierungen von Kraftfahrzeugen positionieren“.
Im Koalitionsvertrag bekennen sich Union und SPD zur Autoindustrie. In Richtung EU legen sie konkret nur fest: „Wir wollen uns aktiv dafür einsetzen, Strafzahlungen aufgrund der Flottengrenzwerte abzuwehren.“
„Eine weitere Verwässerung der Flottengrenzwerte wäre ein fatales Signal“, findet Joswig — „für die Industrie, für Investitionen in E-Mobilität und für das Vertrauen in Politik“.
RÜSTUNGSINDUSTRIE |
SCHNELLER KAUFEN: Die Bundesregierung will der Bundeswehr zur schnelleren Beschaffung von Rüstungsgütern weitreichende Sonderrechte bei Ausschreibungen und Vergabe einräumen. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, der meinem Kollegen Chris Lunday vorliegt (hier).
Ausnahmen werden zur Regel: Die Sicherheitsausnahme nach Artikel 346 des EU-Vertrages soll dauerhaft in deutsches Recht übernommen werden. Damit können Rüstungsverträge ohne Ausschreibung vergeben werden, nicht in Ausnahmen, sondern als gesetzlich vorgesehene Regel.
Tür zu für die USA: Anbieter aus Drittstaaten wie die USA, Großbritannien oder Türkei können von der Vergabe ausgeschlossen werden. Eine NATO-Mitgliedschaft schützt nicht vor dem neuen Ausschlussrecht.
Verfahren statt Verzögerung: Vergabe ohne Wettbewerb, öffentliche Bekanntmachung oder mündliche Anhörung werden dann möglich, wenn Eile, Geheimhaltung oder Vereinbarkeit mit NATO-Vorgaben geltend gemacht werden. Selbst fehlende Haushaltstitel sind kein Hindernis mehr.
Klimaschutz außen vor: Vorschriften zur klimafreundlichen Beschaffung, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sonst üblich sind, werden für den militärischen Bereich ausgesetzt. Laut Begründung soll der Klimaschutz „nicht zur Verzögerung verteidigungsrelevanter Beschaffungen führen“.
Weitere Details dazu lesen Sie hier.
ROHSTOFFE |
Come Back, Bergbau: Die Industrie sowie Politiker von SPD und Grünen fordern eine schnellere Nutzung und Erhöhung des Rohstofffonds.
Dokument: Der BDI hat ein Papier mit Vorschlägen für eine bessere Rohstoffversorgung an Wirtschaftsministerin Katherina Reiche verfasst, das Romanus Otte vorliegt (hier).
„Der Rohstofffonds sollte nun schnell für erste Beteiligungen eingesetzt, zudem verstetigt und das Volumen — wie im Koalitionsvertrag festgelegt — signifikant erhöht werden“, fordert der BDI. Bisher ist dafür eine Milliarde Euro bis 2028 vorgesehen.
Heimische Kettenglieder: „Grundsätzlich braucht es zum Abbau der Abhängigkeiten und für mehr Resilienz den Auf- und Ausbau von Förder-, Weiterverarbeitungs- und Recyclingkapazitäten in Deutschland, der EU und Partnerländern“, schreibt der BDI weiter.
SPD für Geld und Tempo: „Im Koalitionsvertrag ist die Aufstockung unseres nationalen Rohstofffonds vereinbart“, sagte SPD-Wirtschaftssprecher Sebastian Roloff zu Laura Hülsemann. „Diese Schritte werden Zeit brauchen, umso wichtiger ist es jetzt wirklich loszulegen.“
Grüne für Bergbau: „Die Regierung muss jetzt den Rohstofffonds aktivieren“, fordert auch Sandra Detzer, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. „Der nachhaltige Abbau heimischer Rohstoffe kann ein wesentlicher Baustein der Rohstoffsicherung sein.“
Nicht ohne China: Der BDI fordert, gleichzeitig auch den Import von Rohstoffen aus China für Firmen planbarer zu machen. Dafür müssten Lizenzvergabe und Zollabfertigung vereinfacht werden.
Vorräte anlegen: In dem Papier findet sich zudem die Forderung nach dem Aufbau einer strategischen Reserve bei wichtigen Rohstoffen wie Seltenen Erden und Magneten. Der Bund solle die Lagerhaltung in Unternehmen steuerlich unterstützen.
Reserve für Rüstung: Der BDI unterstütze das Vorhaben, für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) den Aufbau einer nationalen Rohstoffreserve zu prüfen.
Tempo, bitte: „Diese sollten nun rasch mit der Industrie diskutiert und in die Umsetzung gebracht werden“, heißt es in dem Papier.
GASKRAFTWERKE |
KRAFTWERKER PUSHEN REICHE: Uniper und EnBW würden mit dem Bau von Reserve-Gaskraftwerken gern schneller loslegen, als von Wirtschaftsministerin Reiche geplant. Das hört Tom Schmidtgen von beiden Energieunternehmen.
„Wir haben Pläne in der Schublade“, sagte Jörn Higgen, Head of Governmental Relations Germany bei Uniper. Das Unternehmen spreche bereits mit Gemeinden über Standorte, beispielsweise in Staudinger und Gelsenkirchen-Scholven.
Reiche plant, bis 2030 „bis zu 20 GW“ Gaskraftwerke als Reserve für den Strommarkt auszubauen. Sie sollen bei Dunkelflauten und Strompreisspitzen einspringen. Bis zum Jahresende will Reiche Kraftwerke mit 7 bis 10 GW ausschreiben.
Uniper findet den Zeitplan unrealistisch. Vor 2031 oder 2032 stünden dann keine neuen Werke. „Das ist eher sehr unwahrscheinlich, weil wir für Genehmigung und Bau mit ungefähr fünf bis sechs Jahren kalkulieren“, so Higgen.
Habecks Kraftwerk-Strategie mit 12 GW Leistung, teilweise H2-ready, sollte man „nicht wieder vollständig aufschnüren, um zügig mit Ausschreibungen starten zu können“, sagte ein EnBW-Sprecher zu Tom. Das Unternehmen prüfe bereits Investitionen.
Versorgungssicherheit: Auch Uniper setzt sich bei Reiche dafür ein, die alten Pläne zu übernehmen. „Deutschland bleibt nicht die Zeit, eine komplett neue Kraftwerk-Strategie zu schreiben und sich mit der Kommission zu einigen.“
Last Call: Wenn es nicht bald losgehe, „gefährden wir die Versorgungssicherheit“, sagte Higgen.
In der Ausschreibung bevorzugen beide Betreiber Wasserstoff gegenüber CCS. Dabei wird Erdgas genutzt, CO₂ aber abgeschieden und gespeichert. „CCS im Energiesektor führt zu hohen Investitionskosten“ und lohne sich nur für große Kraftwerke, so der EnBW-Sprecher.
DEKARBONISIERUNG |
UNTERM BRENNGLAS: Katherina Reiche hat die angekündigte Bestandsaufnahme zur Energiewende an die Beratung BET Consulting in Aachen vergeben. Das geht aus der Leistungsbeschreibung hervor, die Tom Schmidtgen vorliegt (hier).
BET wird von Wissenschaftlern unterstützt, die das Institut auswählt. Nach übereinstimmenden Medienberichten ist dies das Energiewirtschaftliche Institut an der Uni Köln (EWI). Bis Ende Juli soll ein Entwurf vorliegen, Ende August der Bericht.
Die Experten sollen unter anderem den erwarteten Strombedarf neu berechnen. Weitere Themen sind die Versorgungssicherheit und der Wasserstoff-Hochlauf. Union und SPD haben das Monitoring im Koalitionsvertrag vereinbart. Es soll Grundlage der Energiepolitik werden.
Kritik erwünscht: Das Monitoring sei „nicht an die bisherigen Zielszenarien der Bundesregierung gebunden“, heißt es im Auftrag.„Es ist explizit eine kritische Auseinandersetzung […] gewünscht“, wenn bisher nicht alle Kosten und Technologien berücksichtigt worden seien.
Ausweitung: Die Beratung soll darüber hinaus Optionen für die Neuausrichtung der Energiepolitik vorlegen. Sie soll Empfehlungen für Investitionen sowohl in erneuerbare Energien als auch in konventionelle Energieträger aussprechen. Das Abspalten und Lagern von CO2 (CCS) soll ebenso berücksichtigt werden.
INDUSTRIESTROMPREIS |
DICKES BRETT: Die EU-Kommission hat mit ihrem neuen Beihilferahmen den Weg für den subventionierten Industriestrompreis in Deutschland frei gemacht. Wirtschaftsministerin Reiche sieht aber noch Nachbesserungsbedarf.
Das Ministerium teilte mit, es arbeite am Konzept „für einen Industriestrompreis unter Berücksichtigung der beihilferechtlichen Vorgaben“. Dabei werde der Austausch mit der Europäischen Union fortgesetzt.
„Da sind wir noch nicht durch“, hatte Reiche bei einer Fragestunde im Bundestag gesagt. Sie monierte etwa die zeitliche Befristung der Beihilfen und die Bedingungen, die Unternehmen erfüllen müssen.
Redebedarf hat auch der DIHK: Die Kommission spreche gerne von Technologieoffenheit, bevorzuge dann aber doch unter anderem Elektrifizierung gegenüber der CO2-Abscheidung, kritisiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.
CO2-ZIELE |
WENIGER CO2, EGAL WO: Die EU-Kommission will den EU-Ländern erlauben, einen Teil ihres Klimaschutzes bei Treibhausgasen ab 2036 in ärmere Länder auszulagern. Dies geht aus einem Entwurf hervor, den meine Kollegin Zia Weise einsehen konnte.
Am Mittwoch will die Kommission das Zwischenziel der EU für die Emissionen im Jahr 2040 festlegen. Der Ausstoß soll 90 Prozent unter das Niveau von 1990 fallen.
Bis zu drei Prozentpunkte des neuen Ziels könnten über internationale CO2-Gutschriften erreicht werden. Dies steht im Einklang mit der deutschen Position.
Gutschriften ermöglichen es EU-Ländern, emissionssenkende Projekte in anderen Ländern zu bezahlen und die resultierende Treibhausgasreduzierung auf ihren eigenen Zielwert für 2040 anzurechnen.
Jenseits des CO2-Preises: Der Vorschlag schließt die Möglichkeit aus, Gutschriften in den Kohlenstoffmarkt zu integrieren. Er soll keine Auswirkungen auf den CO2-Preis der EU haben.
HEUTE WICHTIG |
— WARSCHAU: Katherina Reiche reist heute ohne Delegation nach Polen für einen kurzen Antrittsbesuch. Sie trifft drei Ministerkollegen. Thema ist unter anderem die Zusammenarbeit in der Energiepolitik. Es soll ein regelmäßiges Gesprächsformat eingeführt werden.
— INFLATION: Um 14 Uhr gibt das Statistische Bundesamt die erste Schätzung für die Inflationsrate im Juni bekannt.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!
The post Merz, Meloni und Macron planen Vorstoß für Autoindustrie appeared first on Politico.