Deutschland hat gewählt – die politische Landschaft sortiert sich neu. Doch während Sondierungen, Spekulationen über Posten und Debatten über milliardenschwere Sondervermögen täglich neue Schlagzeilen produzieren, steht eine weit größere Frage nach wie vor im Raum: Wagt Deutschland nun Aufbruch und echte Reformen – oder verharren wir weiter in der Komfortzone?
Die fetten Jahre sind vorbei
Blicken wir auf unsere wirtschaftliche Lage, verbietet sich die Frage: Stillstand ist keine Option. Denn Deutschland ist längst nicht mehr Weltspitze – andere Länder, die gezielt innovationsfreundliche Strukturen geschaffen haben, sind an uns vorbeigezogen. Im globalen Ranking für Wettbewerbsfähigkeit standen wir 2014 noch auf dem 6. Platz. Heute müssen wir lange nach unten scrollen, bis wir Deutschland auf Platz 24 finden. Die Folgen spüren wir: Deutschlands Industrie leidet, unsere Wirtschaft schrumpft – und mit der Wirtschaft bröckelt auch das Fundament, auf dem unser Wohlstand und unsere sozialen Sicherungssysteme aufbauen. Die fetten Jahre, in denen wir uns als Exportweltmeister zurücklehnen und trotzdem eine globale Wohlstandsdividende einfahren konnten, sind vorbei. Ein “Weiter so!” können wir uns nicht mehr leisten.
Das ist die Ausgangslage für die künftige Regierung – und ihre Bewährungsprobe ohne Schonfrist. Die künftige Koalition wird daran gemessen werden, ob sie nun schnell entschlossen handelt, mutig Strukturreformen anpackt und einen Spirit für wirtschaftliche Erneuerung entfacht. Es geht um nicht weniger als die Frage, wie wir unseren Wohlstand in Zukunft erwirtschaften wollen.
Die gute Nachricht: Noch haben wir die Voraussetzungen für einen neuen Aufbruch.
Deutschlands Industrie kann Zukunft
Ich bin fest davon überzeugt, dass es in unserer Hand liegt, ein neues Wirtschaftswunder Made in Germany zu entfachen. Denn wir haben in Deutschland Ideenreichtum, exzellente Wissenschaftler, Ingenieure und Forschungseinrichtungen von Weltrang. Und noch haben wir auch Industrien vor Ort, die für Innovationskraft stehen und Zukunft in Deutschland und aus Deutschland heraus gestalten wollen – die hier anpacken und nicht einpacken wollen.
Genau dafür steht auch meine Branche, die industrielle Gesundheitswirtschaft – eine Industrie, die zeigt, wie Zukunft und Innovation in Deutschland entstehen kann: Sie bietet über einer Million Menschen hochqualifizierte, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Sie forscht, entwickelt und produziert vor Ort bahnbrechende Zukunftstechnologien, die unsere Gesundheitsversorgung effizienter, nachhaltiger und besser machen – und exportiert sie von Deutschland heraus in die Welt. Sie ist nicht zuletzt eine der wenigen Industrien in Deutschland, die auch in Krisenzeiten stabil wächst und so unsere Volkswirtschaft und Sozialsysteme stützt und Wohlstand schafft.
Kurz gesagt: Die industrielle Gesundheitswirtschaft ist eine Schlüsselindustrie, die Deutschland gut tut – und vormacht, was möglich ist, wenn man mutig und konsequent in Fortschritt und Innovation investiert.
Woran es fehlt? Innovationskultur!
Gleichzeitig erlebt meine Branche aber auch täglich, wo Deutschland sich selbst im Weg steht – wie schwer es Innovationen hierzulande haben. Wir alle wissen, dass Deutschland zu analog, kompliziert und zögerlich ist. Doch was für Bürgerinnen und Bürger beim Behördengang ärgerlich ist, wird im internationalen Wettbewerb zum handfesten Standortnachteil. Beispiel klinische Forschung: Bei der Anzahl klinischer Studien ist Deutschland zurückgefallen – auch, weil Genehmigungsprozesse bei uns Monate statt Wochen dauern. Andere Länder sind heute attraktiver, haben gezielt regulatorische Hürden abgebaut, locken Forschung und Investitionen an – und schaffen so die strategischen Märkte von morgen.
Und doch ist Regulierungswut nicht unser einziges Problem. Uns fehlt Innovationskultur. Deutschland regelt, prüft und verzögert, weil wir Innovationen zu oft als Risiko begreifen – und nicht als Chance für eine nachhaltige Zukunft.
Auch das erlebt meine Branche. Wenn wir uns die globalen Pharma- und Innovationscluster anschauen, dann sehen wir, dass sie in ein funktionierendes Gesundheitswesen und ein Ökosystem eingebettet sind, das sowohl Sprung- als auch Schrittinnovationen als Fortschritt anerkennt und honoriert. In Deutschland hingegen werden Innovationen im Gesundheitswesen, die Menschen mit schweren und oft auch lebensbedrohlichen Erkrankungen neue Perspektiven eröffnen, einseitig auf der Ausgabenseite debattiert. Hier wird der Wert innovativer Therapien für kurzfristige Einsparungen lieber künstlich gedeckelt, anstatt bekannte Ineffizienzen im Gesundheitswesen, wie die schleppende Digitalisierung, endlich konsequent anzugehen. Nicht zuletzt wird hier einer starken Gesundheitsindustrie mit Misstrauen begegnet, anstatt sie als Versicherung für wirtschaftliches Wachstum und nachhaltigen Wohlstand willkommen zu heißen. All das ist Ausdruck eines fehlenden Vertrauens in den Wert von Innovationen.
Wir brauchen eine Innovationsoffensive
Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Innovationsstandorts Deutschland wiederherzustellen, ist die wichtigste Aufgabe, vor der die künftige Regierung steht. Doch Vertrauen entsteht nicht durch Symbolpolitik, sondern durch entschlossenes Handeln.
Der Abbau von Bürokratie, die Beschleunigung von Verfahren oder eine wettbewerbsfähige digitale Infrastruktur – das sind keine abstrakten Reformvorhaben, sondern Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort. Und keine Frage, das geht nicht ohne Investitionen – es ist richtig, dass der Staat investiert. Aber Finanzspritzen für teure Subventionsprojekte ersetzen keine strukturellen Reformen und auch milliardenschwere Sondervermögen werden verpuffen, wenn sie nicht konsequent dort eingesetzt werden, wo nachhaltiges Wachstum freigesetzt wird. Wer kleinteilig denkt und reguliert, fällt schnell aus der Zeit.
Deswegen braucht Deutschland mehr denn je eine Innovationsoffensive, die Zukunftstechnologien Made in Germany als strategische Priorität in den Mittelpunkt stellt und langfristige Planungssicherheit für private Investitionen schafft. Das entsteht nicht in isolierten Denkräumen der Politik. Innovation lässt sich nicht verordnen – sie entsteht, wenn Politik und Industrie gemeinsam an einem Strang ziehen und den Weg ebnen. Genau dafür steht die Industrie bereit.
Dass das möglich ist, haben die vergangene Bundesregierung und die Gesundheitsindustrie bewiesen: Mit der Nationalen Pharmastrategie wurde 2023 ein gemeinsames Ziel definiert, ein gemeinsamer Weg beschritten. Vor allem wurde aber gegenseitiges Vertrauen aufgebaut; Vertrauen, das innerhalb kürzester Zeit private Milliardeninvestitionen in den Innovationsstandort Deutschland ausgelöst hat. Jetzt gilt es, diesen Kurs fortzusetzen – mit weiteren Reformen in Richtung eines innovationsfreundlichen Gesundheitssystems, das mit dem medizinischen Fortschritt Schritt hält.
Zeit für echten Aufbruch
Deutschland kann sich neu erfinden – davon bin ich fest überzeugt. Doch das gelingt nur mit Mut, Entschlossenheit und einer ambitionierten Innovationsoffensive. Politik und Industrie müssen jetzt gemeinsam die Weichen für die Zukunft stellen. Die Voraussetzungen dafür liegen in unserer Hand – jetzt gilt es, das Potenzial endlich freizusetzen. Denn klar ist auch: Wenn wir heute nicht in Innovationen investieren, sind wir morgen abhängig von den Ländern, die es tun. Dann wird unser Fundament zu Treibsand und der Koloss kollabiert. Wir müssen deshalb jetzt aus der Komfortzone raus und unsere Zukunft aktiv gestalten. Es ist höchste Zeit für einen echten Aufbruch.
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